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Das Objekt

Abbildung einer auf einem Bettlaken selbst gemalten Fahne der Tschechoslowakei.

Tschechoslowakische Fahne, von dem 15-jährigen Lehrling Bert H. (Name geändert) im August 1968 selbst angefertigt

Nachdem er an Protesten in Gotha gegen die gewaltsame Niederschlagung des "Prager Frühlings" teilgenommen hatte, nahm die Stasi Bert H. fest. Bei einer Wohnungsdurchsuchung fand sie eine von Bert aus einem Bettlaken gebastelte, mit Wasserfarben gemalte Fahne und wertete sie als Beweis einer "staatsfeindlichen" Einstellung. Das Bezirksgericht Erfurt verurteilte den Jugendlichen zu einer Gefängnisstrafe. Die Strafe wurde letztlich zur Bewährung ausgesetzt.

Quelle: BArch, MfS, BV Erfurt, AU, Nr. 45/69, Bd. 7

Wie reagierte die Stasi auf den "Prager Frühling"?

Im Frühjahr 1968 rief der neue Chef der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei Alexander Dubček Reformen aus. Doch das Experiment des "Prager Frühlings" wurde durch Truppen der Sowjetunion und ihrer Verbündeten Ungarn, Polen und Bulgarien blutig niedergeschlagen. Das SED-Regime befürchtete, die Ideen des "Prager Frühlings" könnten auf die DDR überspringen, die Stasi verfolgte daher rigoros jegliches Zeichen von Sympathie oder Solidarität.

Ein Mann mit entblößtem Oberkörper steht vor einem Panzer und schreit, in das Kanonenrohr blickend, etwas.

Bratislava, August 1968: Der slowakische Arbeiter Emil Gallo stellt sich sowjetischen Panzern in den Weg.

Fast 100 Menschen kamen bei der sowjetisch geführten Invasion und den anschließenden "Säuberungsaktionen" ums Leben, Hunderte wurden verletzt, viele Reformanhänger verhaftet oder durch Berufsverbote ins Abseits gedrängt. Mit der Niederschlagung der Prager Reformen zerschlug sich auch für viele in der DDR die Hoffnung auf einen Wandel.

Quelle: AKG Images, Fotograf: Ladislav Bielik

Mehrere Personen gehen auf einer Straße in Richtung von Panzern.
Soldaten sitzen auf einem Panzer, der auf einer Straße steht. Im Hintergrund ist eine Menschenmenge zu sehen.

Sowjetische Panzer in Prag, 21. August 1968

Diese Aufnahmen machte ein 18-Jähriger aus Weimar. Nach Hause zurückgekehrt, zeigte er sie seinen Mitschülern. Als dies der Stasi zu Ohren kam, verhaftete sie den jungen Mann. In den Augen der Stasi waren junge Menschen besonders offen für die Reformideen des Prager Frühlings: Rund drei Viertel der Personen, gegen die Volkspolizei und Stasi ermittelten, waren unter 30 Jahren alt.

Quelle: BArch, MfS, BV Erfurt, AU, Nr. 48/69, Bd. 3, Bl. 20 und 22

Mit Kreide auf Holz geschriebene Parole "Freiheit für ČSSR!!!".
Mit Kreide auf Holz geschriebene Parole "RUSSEN RAUS! AUS ČSSR".

Stasi-Dokumentation von "Hetzschmierereien" in Halle, August 1968

Quelle: BArch, MfS, BV Halle, AU, Nr. 3160/69, Bl. 83 und 87

 

Textdokument, des Ministerrats der DDR, Ministerium für Staatssicherheit an die Leiter der Bezirksverwaltungen der Stasi
Textdokument, des Ministerrats der DDR, Ministerium für Staatssicherheit an die Leiter der Bezirksverwaltungen der Stasi
Textdokument, des Ministerrats der DDR, Ministerium für Staatssicherheit an die Leiter der Bezirksverwaltungen der Stasi
Textdokument, des Ministerrats der DDR, Ministerium für Staatssicherheit an die Leiter der Bezirksverwaltungen der Stasi

Schreiben des Ministers für Staatssicherheit Erich Mielke an die Leiter der Stasi-Bezirksverwaltungen, 2. September 1968

Im Rückblick auf den Prager Frühling und seiner Auswirkungen forderte Mielke eine "noch konsequentere" Bekämpfung der "Untergrundtätigkeit unter jugendlichen Personenkreisen" und eine verstärkte "Abwehr feindlicher Handlungen an den Hoch- und Fachschulen" in der DDR.

Quelle: BArch, MfS, BdL, Dok. Nr. 1087, Bl. 1-4

Was war die HA IX?

Die Untersuchung "politischer Straftaten" oblag der HA IX. Sie war dem Minister für Staatssicherheit direkt unterstellt. Die HA IX war berechtigt, Ermittlungsverfahren durchzuführen, Personen in U-Haft zu nehmen, Zeugen und Beschuldigte zu vernehmen, Wohnungen zu durchsuchen und Dinge zu beschlagnahmen sowie "Zellenspitzel" einzusetzen. Ausgewählte Ermittlungsergebnisse gab die HA IX an die Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung weiter. Formal stand sie unter der Aufsicht der Staatsanwaltschaft, in der Praxis aber agierte sie weitgehend eigenständig.

Frontalfoto eines Mannes mit Hornbrille und Anzug.

Rolf Fister, 1973 bis 1989 Leiter der HA IX

Rolf Fister, 1929 in Großdeuben bei Leipzig geboren, gehörte dem MfS seit 1952 an. Ab 1953 war er Ermittler in der HA IX und stieg bis 1973 zu deren Leiter auf. Mit einer Dissertation über die "Organisierung der Vorbeugung, Aufklärung und Verhinderung des ungesetzlichen Verlassens der DDR und der Bekämpfung des staatsfeindlichen Menschenhandels" promovierte Fister 1975 an der JHS. Das Thema sollte für ihn an Brisanz nicht abnehmen: 1988 bezog sich die Hälfte aller Ermittlungsverfahren der HA IX auf den § 213 des DDR-StGB "ungesetzliches Verlassen der DDR".

Quelle: BArch, MfS, KS, Nr. 3382/90, Bl. 200

Foto eines Platzes, umgeben von mehreren Gebäuden. An Dem Dach des rechten Gebäudes ist Stacheldraht angebracht, mehrere Fenster an den Gebäuden sind vergittert.

Der sogenannte Vernehmertrakt der HA IX (Bildmitte) auf dem Gelände der zentralen Untersuchungshaftanstalt der Stasi in Hohenschönhausen, um 1990

Mit dem Zuwachs an Aufgaben stieg zwangsläufig auch der Raumbedarf der HA IX. Bis 1973 wurde daher ein weiterer Dienstbau errichtet, der über einen Verbindungsgang an das alte Gebäude angeschlossen war. 1988 arbeiteten über 480 Mitarbeiter in der HA IX.

Quelle: Gedenkstätte Hohenschönhausen / Thomas Weber, 2013

In seinen Aufzeichnungen beschreibt Jürgen Fuchs, der von November 1976 bis August 1977 in der Stasi-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen festgehalten wurde, die Haft- und Vernehmungspraxis der Stasi.

Quelle: Jürgen Fuchs, Gedächtnisprotokolle. Vernehmungsprotokolle, Reinbek bei Hamburg 1990 (Auszüge)

In seinen Aufzeichnungen beschreibt Jürgen Fuchs, der von November 1976 bis August 1977 in der Stasi-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen festgehalten wurde, die Haft- und Vernehmungspraxis der Stasi.

Quelle: Jürgen Fuchs, Gedächtnisprotokolle. Vernehmungsprotokolle, Reinbek bei Hamburg 1990 (Auszüge)

In seinen Aufzeichnungen beschreibt Jürgen Fuchs, der von November 1976 bis August 1977 in der Stasi-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen festgehalten wurde, die Haft- und Vernehmungspraxis der Stasi.

Quelle: Jürgen Fuchs, Gedächtnisprotokolle. Vernehmungsprotokolle, Reinbek bei Hamburg 1990 (Auszüge)

Gilbert Furian spricht über seine Hafterfahrungen im Untersuchungsgefängnis der Stasi in Berlin-Hohenschönhausen 1985, Interview aus dem Oktober 2023

Untersuchungshäftlinge "bearbeiten" und zu Aussagen bringen: Dies stand im Mittelpunkt der Stasi-Vernehmungspraxis. Die Vernehmer übten dauerhaft gezielten psychischen Druck auf die Häftlinge aus, um diese zu zermürben, zu demütigen, zu verunsichern. Dass die Häftlinge meist nicht wussten, wo sie gefangen gehalten wurden, dass sie in Einzelhaft oder allenfalls mit einem potenziellen Spitzel zusammen in der Zelle saßen und dass sie zu quälender Beschäftigungslosigkeit gezwungen waren, steigerte das Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins noch zusätzlich.

Quelle: Bundesarchiv

Auszug, in dem die Umsetzung der Stasi-Dienstanweisung 2/85 für die Hauptabteilung IX geregelt wird.
Auszug, in dem die Umsetzung der Stasi-Dienstanweisung 2/85 für die Hauptabteilung IX geregelt wird.

Dienstanweisung 2/85 von Stasi-Minister Mielke zur "Bekämpfung der Untergrundtätigkeit", 20. Februar 1985 (Auszug)

Die Stasi subsummierte unter dem Begriff "Untergrundtätigkeit" Handlungen, die sie als "staatsfeindlich" auffasste: Westkontakte, der öffentlich geäußerte Wunsch, die DDR zu verlassen, Engagement für Frieden und Umweltschutz. Mit der 39-seitigen Dienstanweisung verschärfte Mielke die Vorgaben: Unter Ausnutzung aller rechtlicher Möglichkeiten sollte die Stasi strikt gegen "feindliches" Verhalten vorgehen. Veränderungen im DDR-Strafrecht 1968, 1977 und 1979 boten der Stasi hierbei immer weiter reichende Spielräume.

Quelle: BArch, MfS, BdL, Dok., Nr. 5083, Bl. 30f.

Was geschah mit Bert H.?

Wie viele Jugendliche sehnte sich Bert H. nach Freiräumen und begehrte gegen starre Verhaltensnormen auf. Er mochte die Beatles und das westdeutsche Jugend-Magazin "Bravo", sammelte Bilder von Rocksängern. Nicht zuletzt diese Vorliebe galt der Stasi jedoch als Beleg dafür, dass Bert durch den "westlichen Feind" zur Gegnerschaft gegen die DDR aufgestachelt worden war. Bert H. blieb bis mindestens 1987 im Visier der Stasi.

Textdokument, überschrieben mit "Protokoll", das das Ergebnis einer Durchsuchung aufführt. Einzelne Textstellen sind anonymisiert.

Stasi-Protokoll zur Beschlagnahmung von Gegenständen aus dem Zimmer von Bert H., 28. August 1968

Die Federführung der Ermittlungen gegen Bert H. lag in den Händen der Abteilung IX der BV Erfurt. Sie ließ die Wohnung der Familie H. durchsuchen und potenzielle Beweise beschlagnahmen, sie vernahm Bert H. und übergab das zusammengestellte Material zur Anklageerhebung an die Staatsanwaltschaft.          

Quelle: BArch, MfS, BV Erfurt, AU, Nr. 45/69, Bd. 7, Bl. 73

Textdokument, auf dem Auszüge einer Befragung nieder geschrieben sind.

Protokoll der Stasi-Vernehmung des 15-jährigen Bert H., August 1968 (Auszug)

Quelle: BArch, MfS, BV Erfurt, AU, Nr. 45/69, Bd. 7, Bl. 87

 

 

Urteilsverkündung. Einzelne Textstellen sind anonymisiert.
Urteilsverkündnung, zweite Seite. Einzelne Textstellen sind anonymisiert.

Urteil des Bezirksgerichts Erfurt gegen Bert H., 9. November 1968

Das Bezirksgericht Erfurt verurteilte Bert H. wegen "staatsfeindlicher Hetze" und "Zusammenrottung" zu einem Jahr und fünf Monaten Gefängnis. Wenig später wandelte es das Strafmaß in eine Bewährungsstrafe um. Auch im Falle anderer verurteilter Minderjähriger wurde so verfahren: Dass in der DDR Jugendliche zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden, hatte im Ausland zu negativen Schlagzeilen geführt.

Quelle: BArch, MfS, BV Erfurt, AU Nr. 45-69, Bd. 9, Bl. 1a-2

Was geschieht mit von der Stasi beschlag­nahmtem Eigentum?

Die von Bert H. selbst gebastelte Fahne war von der Stasi beschlagnahmt und als vermeintliches Beweismittel in den Ermittlungsakten abgelegt worden. Tatsächlich aber ist die Fahne Eigentum von Bert H. Das Bundesarchiv – Stasi-Unterlagen-Archiv bemüht sich, derartige von der Stasi rechtswidrig einbehaltene Gegenstände an die Eigentümerin oder den Eigentümer zurückzugeben. Leider gelingt es nicht in allen Fällen, ihre Adressen zu ermitteln und den Kontakt herzustellen. So auch nicht bei Bert H.

Aktendeckel einer Gerichtsakte. Die Namen auf der Akte sind anonymisiert.

Stasi-Akte zu Bert H., 1969

In dieser Akte legte die Stasi neben den Vernehmungsprotokollen und anderen Unterlagen auch die Fahne ab, die Bert H. selbst angefertigt hatte.

Quelle: BArch, MfS, BV Erfurt, AU, Nr. 45/69, Bd. 7

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Das Bild zeigt ein Foto zweier Männer, die hinter einer Mauer stehen und mit Ferngläsern in Richtung des Fotografen schauen.
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Schwarz-Weiß-Foto einer Menschenmenge, die einen Panzer umringt, auf dem bewaffnete Soldaten sitzen.
Ein Blatt, auf dem drei Fahrkarten nebeneeinander aufgeklebt sind. Auf der rechten steht in lila Schrift "Rückfahrt".
Ein aus rotem Krepppapier gebasteltes "A", verziert mit getrockneten Blättern.
Handschriftlich verfasstes Textdokument, an einer Stelle ist etwas anonymisiert.
Stasi-Karteikarte in DIN A6, blass gelbfarben.
Abbildung einer auf einem Bettlaken selbst gemalten Fahne der Tschechoslowakei.
Das Polaroidfoto zeigt eine tapezierte Wand vor der ein Telefon steht. Neben dem Telefon ist eine elektronische Apparatur zu sehen. Diese wurde auf dem Polaroidfoto mit einem roten Pfeil markiert.
Ein handschriftlich mit Kugelschreiber beschriebenes Stück Toilettenpapier.
Abbildung eines Aktendeckels, auf einem Aufkleber steht "OPK-Akte", da drunter Registriernummer und andere archivarische Angaben.
Maschinell beschriebener Zettel, auf dem von links unten nach rechts oben ein dicker roter Strich gedruckt ist. Absender ist der Leiter des Amts für Nationale Sicherheit, Bezirksamt Erfurt.
Handschriftliche Planskizze mit den Standort des Toten Briefkastens "Brücke" im Waldgebiet Lührmannwald in Essen und dessen Umgebung im Stadtgebiet.
Karte der Stadt Güstrow, durch die Stasi mit Eintragungen mit Bezug zum bevorstehenden Besuch Bundeskanzler Schmidt in Güstrow versehen. Aufgeklebte Fotos zeigen die geplanten Stationen der Besucherdelegation im Stadtgebiet, farbige Markierungen zeigen markieren Einsatzorte und Bereitstellungsräume der Sicherheitskrafte.
Karteikarte im Format DIN A4 quer mit persönlichen Angaben zu Erich Mielke.
Handschriftliche Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit mit der Stasi als IM Gerhard von Rainer Schedlinski, Seite 1
Anscheinend unbemerkt gemachtes Schwarz-Weiß-Foto zweier Männer, die ein Gebäude betreten.
Das Blatt aus dem Fotoalbum trägt die Überschrift: "Liebevolle Fürsorge für unsere Kleinen - schaffen froher Ferienerlebnisse bei Sport und Spiel - das sind auch unsere Aufgaben". Das Blatt zeigt sieben Fotos. In der Mitte ist Erich Mielke mit Mädchen in Turntrikots zu sehen, die er anscheinend auszeichnet. Die anderen zeigen Kinder in einem Kindergarten und Junge Pioniere im Ferienlager, unter anderem bei einem Appell, beim Sackhüpfen und bei militärischen Übungen mit einem Kinderpanzer und Kindersturmgewehren.
Bedrucktes Stoffstück, auf dem ein Fisch abgebildet ist, der aus dem Wasser herausschaut. Der untere, sich im Wasser befindliche Teil des Fisches besthet nur aus Gräten. Darüber steht der Text "Umkehr zum Leben", darunter "1. Pleißegedenkumzug, 5. Juni '88, Weltumwelttag
Zwei uniformierte und bewaffnete Soldaten stehen in einem Hof neben einer Plakette, die an die dort stattgefundene Ermordung Ernst Thälmanns erinnert. Vor und neben ihnen ist eine Vielzahl von Blumengestecken und Blumenkränzen.
Der Zettel ist mit Eintragungen, Stempeln und Unterschriften der zahlreichen Stellen übersäht, die Flüchtende im Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde zu besuchen hatten.
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