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Das Objekt

Ein aus rotem Krepppapier gebasteltes "A", verziert mit getrockneten Blättern.

"A" wie Ausreise: ein von Hannelore Mohn aus Alufolie und Krepppapier angefertigtes A, Schwerin, November 1986

Das "A" galt seit Beginn der 80er Jahre als Symbol für den Wunsch, die DDR zu verlassen. Bereits im Herbst 1985 hatte die Familie Mohn einen Ausreiseantrag gestellt und war damit ins Visier der Stasi geraten. Als die Familie das "A" sichtbar in ein Fenster ihrer Wohnung hängte, nahm die Stasi das Ehepaar unter dem Tatverdacht der "Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit" in Untersuchungshaft.

Quelle: BArch, MfS, BV Schwerin, AU, Nr. 556/87, GA, Bl. 129

Was bedeutete die KSZE-Schlussakte für die Arbeit der Stasi?

Mit der Unterzeichnung der Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) im August 1975 verpflichtete sich der SED-Staat, das Recht auf Freizügigkeit anzuerkennen und die Menschenrechte zu wahren. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger der DDR beantragten daraufhin, die DDR verlassen zu dürfen ("Antrag auf ständige Ausreise"). Die Stasi sollte diese für das SED-Regime bedrohliche Entwicklung eindämmen, sei es durch Überwachung, Einschüchterung oder Kriminalisierung.

Mehrere Männer in ANzügen sitzen nebeneinander, einer unterzeichnet etwas in einem großen Buch. Im Hintergrund sid weitere Personen zu sehen, die den Männern zum Teil über die Schultern schauen. Rechts hinten ist eine große Fernsehkamera zu sehen. Vor den Männern auf dem Tisch stehen Schilder mit den französischen Aufschriften "Rép. Féd. d

Abschlusssitzung der KSZE in Helsinki am 1. August 1975: Bundeskanzler Helmut Schmidt, Staats- und Parteichef Erich Honecker und US-Präsident Gerald Ford unterzeichnen die Schlussakte.

Quelle: BArch, Bild 183-P0805-314 / Sturm, Horst

Textdokument, überschrieben vom Ministerrat der DDR, Ministerium für Staatssicherheit, addressiert an den Leiter Hauptverwaltung A. Von oben links bis unten rechts ist ein blauer Strich über das Dokument gedruckt.

Anweisung Erich Mielkes in Hinsicht auf die Folgen der KSZE für die Stasi, 6.  August 1975 (Auszug)

Stasi-Chef Mielke wollte die "Gefahren", die sich aus der KSZE-Schlussakte für das SED-Regime ergeben könnten, frühzeitig erkennen und ausschalten. Er wies seine Dienststellen an, ihn über die Auswirkungen der KSZE-Konferenz auf dem Laufenden zu halten. Besonderes Gewicht hatte dabei die Frage, ob die DDR-Bevölkerung aus der Schlussakte konkrete Forderungen ableiten würde.

Quelle: BArch, MfS, BdL, Dok, Nr. 4787, Bl. 1

Mehrere Menschen tanzen hädehaltend auf einem Platz im Kreis. Im Hintergrund steht eine Menschenmenge.

Stasi-Foto von ausreisewilligen DDR-Bürgern, die sich unter der Bezeichnung "Weißer Kreis" 1983 in Jena zusammengefunden hatten

In den 80er Jahren stellten immer mehr DDR-Bürgerinnen und -Bürger einen Antrag auf Ausreise. Viele machten ihr Anliegen auch öffentlich und vernetzten sich, auch über die Grenzen hinweg. Sie bildeten Gruppen und nahmen Kontakt zu den westdeutschen Grünen auf, zur tschechoslowakischen Charta 77 und zu anderen Oppositionellen im Ostblock. Für die Stasi wurde es immer schwieriger, diese Aktivitäten unter "operativer Kontrolle" zu halten.

Quelle: BArch, MfS, HA XX, Fo, Nr. 211, Bild 51

Welche Aufgabe hatte die ZKG?

1975 schuf die Stasi eine neue Diensteinheit: die Zentrale Koordinierungsgruppe (ZKG). Sie sollte die Zunahme von "Republikfluchten" und Ausreiseanträgen "bekämpfen". War sie zunächst als Koordinierungsstelle tätig, so griff sie in den 80er Jahren verstärkt mit eigenen "Gegen- und Zersetzungsmaßnahmen" ein.

Deckblatt des Befehls 6/77 vom 18. März 1977.

Mielke-Befehl 6/77  zur "Vorbeugung, Verhinderung und Bekämpfung rechtswidriger Übersiedlungsersuchen", 18. März 1977

Mit dem Befehl 6/77 rückte Mielke die "Bekämpfung" von Ausreiseantragsstellern verstärkt in den Mittelpunkt der ZKG-Arbeit. Personen, die trotz negativen Bescheids an ihrem Ausreisewunsch festhielten, bezeichnete die Stasi als "hartnäckige" Ausreiseantragssteller und überzog sie mit geheimpolizeilichen Maßnahmen: Post- und Telefonüberwachung, Diffamierung, Psychoterror, Androhung von Arbeitsplatzverlust und Haft.

Quelle: BArch, MfS, BdL-Dok, Nr. 4791, Bl. 2

Türkisfarbige Seite eines Textdokuments. In der Mitte steht "Dienstanweisung Nr. 2/83".
Seite eines Textdokuments.
Seite eines Textdokuments.
Seite eines Textdokuments.

Stasi-Dienstanweisung 2/83 vom 13. Oktober 1983 "zur Unterbindung und Zurückdrängung von Versuchen von Bürgern der DDR, die Übersiedlung nach nichtsozialistischen Staaten und Westberlin zu erreichen, sowie für die vorbeugende Verhinderung, Aufklärung und wirksame Bekämpfung damit im Zusammenhang stehender feindlich-negativer Handlungen"

Mit der Dienstanweisung 2/83 übernahm die ZKG über ihre ursprüngliche Koordinierungsfunktion hinaus einen aktiven Part. Sie war nun direkt in die "Bearbeitung von Feindorganisationen" eingebunden.

Quelle: BArch, MfS, BdL, Dok, Nr. 7770, Bl. 1, 4-6

Schwarz-Weiß-Foto eines nach Links zeigendes Verkehrsschilds mit der Aufschrift "Zentrale Aufnahmestelle des Landes Hessen".

Stasi-Foto eines Wegweisers zum Notaufnahmelager (NAL) Gießen, der Zentralen Aufnahmestelle des Landes Hessen, 1988

Auch die "Bearbeitung" von "Feindobjekten" wie dem NAL in Gießen lag in der Zuständigkeit der ZKG. Das NAL Gießen war die zentrale Aufnahmestelle in der Bundesrepublik für Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR. Die Stasi setzte Spitzel ein, um Informationen über die Mitarbeiter und Abläufe im NAL zu erhalten.

Quelle: BArch, MfS, HA VII, Nr. 6273, Bl. 16

Generalmajor Gerhard Niebling, Leiter der ZKG von 1983 bis 1990

Niebling kam 1952 im Alter von 20 Jahren zur Stasi. Zunächst gehörte er zur HA IX und war über 25 Jahre lang "Untersuchungsführer" in der UHA Hohenschönhausen. Ab 1964 absolvierte er ein Fernstudium zum Diplom-Kriminalisten. Schließlich promovierte er 1979 an der JHS und wurde 1983 Leiter der ZKG.

Quelle: BArch, MfS, HA KuSch, Nr. 1567

Warum geriet Familie Mohn ins Visier der Stasi?

Im November 1985 stellte das Ehepaar Mohn für sich und seine Kinder einen Antrag auf Übersiedlung in den Westen: Aus wirtschaftlichen, politischen und religiösen Gründen sah es für sich keine Zukunft mehr im SED-Staat. Trotz mehrfacher Ablehnung des Antrags hielten die Mohns an ihrem Ausreisebegehren fest und verwiesen dabei auf die UN-Charta und die KSZE-Schlussakte. Für die Stasi galten sie damit als "hartnäckige" Antragssteller.

Abbildung eines maschinell gefertigten Textdokuments.
Abbildung eines maschinell gefertigten Textdokuments.

Bericht des IM "Ralf Heller" über Rainer Mohn, Schwerin, 13. November 1986

In dem Betrieb, in dem Rainer Mohn arbeitete, hatte die Stasi mehrere IM platziert. Sie wurden auch auf Rainer Mohn angesetzt. Die IM sollten Mohns Vertrauen gewinnen und ihn über seine Ausreisepläne und Kontakte zu Westdeutschen aushorchen. IM "Ralf Heller" berichtete seinem Führungsoffizier, dass Mohn Kontakt zu einer CDU-Delegation hatte, die sich in Schwerin aufhielt. Solche "Westkontakte" galten im SED-Staat als "ungesetzliche Verbindungsaufnahme".

Quelle: BArch, MfS, BV Schwerin, AU, Nr. 556/87, Bd. 1, Bl. 85 f.

Schwarz-Weiß-Foto eines Fensters in einem Wohnzimmer. Ein eingezeichneter roter Pfeil zeigt auf ein gebasteltes "A", das am Fensterrahmen hängt. Daneben ist ein Maßband.

Foto aus dem Stasi-Bildbericht zur Wohnungsdurchsuchung bei der Familie Mohn am 17. November 1986: Der rote Pfeil weist auf das im Fenster befestigte "A".

Um ihrem unerfüllten Ausreisewunsch Ausdruck zu verleihen, hängte Hannelore Mohn ein selbstgebasteltes "A" in das Fenster ihrer Wohnung. Ein Stasi-Offizier bemerkte dies zufällig und informierte die Schweriner Bezirksverwaltung der Stasi. Das Ehepaar Mohn kam in Untersuchungshaft, die Kinder wurden den Großeltern übergeben. Stasi-Mitarbeiter durchsuchten die Wohnung der Mohns, machten "Beweisfotos" und beschlagnahmten zahlreiche Unterlagen und Briefe.

Quelle: BArch, MfS, BV Schwerin, AU, Nr. 556/87, Bd. 2, Bl. 61

Haftbefehl, ausgestellt vom Kreisgericht Schwerin-Stadt.
Haftbefehl, ausgestellt vom Kreisgericht Schwerin-Stadt.

Haftbefehle des Kreisgerichts Schwerin gegen Hannelore und Rainer Mohn, 18. November 1986

Der Vorwurf der Stasi der "Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit" fand sich auch in den Haftbefehlen des Kreisgerichts Schwerin wieder. In zahlreichen Vernehmungen suchte die Stasi nach Beweisen für staatsschädigendes Verhalten. In den Augen der Stasi waren die Mohns "hartnäckige" Antragssteller mit "negativer" Einstellung zur DDR, die dem Staat ihren Willen "aufdrängen" wollten.

Quelle: BArch, MfS, BV Schwerin, AU, Nr. 556/87, Bd. 3, GA, Bl. 11, und Bd. 4, GA, Bl. 6

Das Bild zeigt ein Textdokument, überschrieben mit "Urteil Im Namen des Volkes" vom Kreisgericht Schwerin-Stadt.

Urteil des Kreisgerichts Schwerin gegen Rainer und Hannelore Mohn, 16. Februar 1987

Im Februar 1987 sprach das Kreisgericht Schwerin das Urteil gegen das Ehepaar Mohn. Rainer Mohn erhielt eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wegen "ungesetzlicher Verbindungsaufname". Seine Frau Hannelore Mohn wurde zu neun Monaten Haft wegen der "Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit" verurteilt.

Quelle: BArch, MfS, BV Schwerin, AU, Nr. 556/87, Bd. 5, GA, Bl. 44

Abbildung eines Textdokuments, überschrieben mit "Beschluß".

Beschluss des Kreisgerichts Schwerin über die Strafaussetzung auf Bewährung, 6. Juli 1987

Nach knapp fünf Monaten in Haft wandelte das Gericht die Haftstrafe der Mohns in Bewährungsstrafen um. Die Staatsanwaltschaft gab dem Gericht an, die Mohns hätten die Strafbarkeit ihrer "Taten" eingesehen, würden in Zukunft die "Gesetzlichkeit der DDR" achten und seien daher bewährungswürdig. In Wirklichkeit kaufte die Bundesrepublik die Mohns frei.

Quelle: BArch, BV Schwerin, AU, Nr. 556/87, Bd. 2, Bl. 129, und Bd. 1, Bl. 355

Was ist eine Gerichtsakte?

Das selbstgebastelte Ausreise-"A" legte die Stasi als Beweisstück in der Gerichtsakte (GA) von Hannelore Mohn ab. Die GA war eine Aktenart innerhalb der Aktenkategorie AU und beinhaltete in der Regel ein Inhaltsverzeichnis, den Haftbefehl, die Einlieferungsanzeige, die Effekten-Aufstellung, die Vernehmungsprotokolle, den Eröffnungsbeschluss zum Verfahren, die Anklageschrift und das Urteil.

Abbildung eines Aktendeckels.

Aktendeckel der Gerichtsakte von Hannelore Mohn, 1987

Quelle: BArch, MfS, BV Schwerin, AU, Nr. 556/87, Bd. 4

Foto eines dreistöckigen, beige angestrichenen Plattenbaus. Im Vordergrund ist eine Wiese sowie Böume und Büsche zu sehen.

Der Standort Schwerin des Bundesarchivs – Stasi-Unterlagen-Archivs, o. D.

Im Archiv der Außenstelle Schwerin lagern rund 2.370 lfm Archivgut der BV Schwerin und ihrer Kreisdienststellen, darunter auch die Akte des archivierten Untersuchungsvorgangs gegen das Ehepaar Mohn.

Quelle: Bundesarchiv

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Das Bild zeigt ein Foto zweier Männer, die hinter einer Mauer stehen und mit Ferngläsern in Richtung des Fotografen schauen.
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Schwarz-Weiß-Foto einer Menschenmenge, die einen Panzer umringt, auf dem bewaffnete Soldaten sitzen.
Ein Blatt, auf dem drei Fahrkarten nebeneeinander aufgeklebt sind. Auf der rechten steht in lila Schrift "Rückfahrt".
Ein aus rotem Krepppapier gebasteltes "A", verziert mit getrockneten Blättern.
Handschriftlich verfasstes Textdokument, an einer Stelle ist etwas anonymisiert.
Stasi-Karteikarte in DIN A6, blass gelbfarben.
Abbildung einer auf einem Bettlaken selbst gemalten Fahne der Tschechoslowakei.
Das Polaroidfoto zeigt eine tapezierte Wand vor der ein Telefon steht. Neben dem Telefon ist eine elektronische Apparatur zu sehen. Diese wurde auf dem Polaroidfoto mit einem roten Pfeil markiert.
Ein handschriftlich mit Kugelschreiber beschriebenes Stück Toilettenpapier.
Abbildung eines Aktendeckels, auf einem Aufkleber steht "OPK-Akte", da drunter Registriernummer und andere archivarische Angaben.
Maschinell beschriebener Zettel, auf dem von links unten nach rechts oben ein dicker roter Strich gedruckt ist. Absender ist der Leiter des Amts für Nationale Sicherheit, Bezirksamt Erfurt.
Handschriftliche Planskizze mit den Standort des Toten Briefkastens "Brücke" im Waldgebiet Lührmannwald in Essen und dessen Umgebung im Stadtgebiet.
Karte der Stadt Güstrow, durch die Stasi mit Eintragungen mit Bezug zum bevorstehenden Besuch Bundeskanzler Schmidt in Güstrow versehen. Aufgeklebte Fotos zeigen die geplanten Stationen der Besucherdelegation im Stadtgebiet, farbige Markierungen zeigen markieren Einsatzorte und Bereitstellungsräume der Sicherheitskrafte.
Karteikarte im Format DIN A4 quer mit persönlichen Angaben zu Erich Mielke.
Handschriftliche Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit mit der Stasi als IM Gerhard von Rainer Schedlinski, Seite 1
Anscheinend unbemerkt gemachtes Schwarz-Weiß-Foto zweier Männer, die ein Gebäude betreten.
Das Blatt aus dem Fotoalbum trägt die Überschrift: "Liebevolle Fürsorge für unsere Kleinen - schaffen froher Ferienerlebnisse bei Sport und Spiel - das sind auch unsere Aufgaben". Das Blatt zeigt sieben Fotos. In der Mitte ist Erich Mielke mit Mädchen in Turntrikots zu sehen, die er anscheinend auszeichnet. Die anderen zeigen Kinder in einem Kindergarten und Junge Pioniere im Ferienlager, unter anderem bei einem Appell, beim Sackhüpfen und bei militärischen Übungen mit einem Kinderpanzer und Kindersturmgewehren.
Bedrucktes Stoffstück, auf dem ein Fisch abgebildet ist, der aus dem Wasser herausschaut. Der untere, sich im Wasser befindliche Teil des Fisches besthet nur aus Gräten. Darüber steht der Text "Umkehr zum Leben", darunter "1. Pleißegedenkumzug, 5. Juni '88, Weltumwelttag
Zwei uniformierte und bewaffnete Soldaten stehen in einem Hof neben einer Plakette, die an die dort stattgefundene Ermordung Ernst Thälmanns erinnert. Vor und neben ihnen ist eine Vielzahl von Blumengestecken und Blumenkränzen.
Der Zettel ist mit Eintragungen, Stempeln und Unterschriften der zahlreichen Stellen übersäht, die Flüchtende im Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde zu besuchen hatten.
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